MAUERN
Eine Kritik des Literaturbetriebs ist "Mauern" selbstverständlich auch, allerdings eine, die mit sichtlichem Spaß geschrieben worden ist. Vieles in diesem wunderbar ideenreichen Roman scheint absurd und macht damit die Wirklichkeit umso klarer sichtbar.
Michaela Monschein, Ö1
Peter Pisa für den "Kurier"
Zum Erarbeiten wie das Leben, so waren die bisherigen Romane Paul Auers. „Mauern“ ist da keine Ausnahme, der Text mauert. Aber es ist ein Vergnügen, die Mauer niederzureißen, und dann erfährt man von einem neuen Pakt mit dem Teufel.
Schriftsteller Joshua, um die 30 und leicht größenwahnsinnig, konnte sich dank einer Erbschaft eine Dachgeschoßwohnung leisten, und nun steht er mit einem Glas Cognac auf der Terrasse, aber seine Freundin Carmen gibt es nicht mehr. Da verirrt sich der Teufel zu ihm. (Aber vielleicht war er ohnehin längst da.) Der Teufel will kein Teufel sein. Es ist der Schriftsteller, der den Pakt vorschlägt: Bringt der Teufel Carmen zurück, schreibt er ein Buch – ein Porträt des Teufels, damit ihn alle lieben. Machen das nicht ohnehin zu viele?
Das war jetzt die einfache Lesart dieses komplexen Romans, komplex wie Goethes „Faust“ und doch genauso einfach. Teuflisch einfach, lässt man sich auf das Buch des Villacher Paul Auer (= Kultur- und Sozialanthropologe) ein. Was empfohlen wird.
Walter Fanta für Literaturhaus Wien-Buchmagazin
Schwankende Gestalten
Bei Joshua in seiner Dachwohnung im Wiener ersten Bezirk tauchen plötzlich rasch hintereinander drei ungeladene Gäste auf. Erst Judit, eine abgelebte Milf, ein wenig mütterlich, aber ein wenig mehr noch hexenhaft wirkend, mit ihren roten Augen, wie frisch aus der Walpurgisnacht entsprungen. Dann Luis, Sonnenbrille, bodenlanger schwarzer Lodenmantel, ein krankes Gespenst, sieht aus wie, nein, das ist: Luzifer. Und in seinem Schlepptau immer Finn, ein wunderschöner Junge, frisch und gesund, mit seinen rotblonden wuscheligen Haaren das blühende Leben, wenn, ja wenn das nicht der Junge wäre, "der geopfert werden soll". Die drei tauchen also bei Joshua K. auf, wie Josef K., wie der Protagonist bei Kafka heißt er eben, sie gehen dann später aus und ein bei ihm, brauchen nicht mehr zu läuten, sind einfach da, und dann wieder weg, sei es über die Dachterrasse, durch die Lüfte. Schwankende Gestalten sind es, nach dem ersten Besuch zu mitternächtlicher Stunde keine ungebetenen Gäste mehr, sondern hoch erwünscht, denn der schon über dreißigjährige, aber immer noch nicht etablierte Schriftsteller Joshua braucht sie. In seiner allgemeinen Krise – seine Freundin Carmen hat ihn verlassen – und in seiner Schaffenskrise im Speziellen – nach seinem ersten Roman Hitlers Katze laboriert er an einem writers-block – braucht Joshua vor allem Luis: der Teufel wird ihm seine Geschichte erzählen, Joshua wird mit dieser Geschichte sein "Weltbuch" schreiben, das wird ihm dazu verhelfen, "gottgleich" zu sein! Darauf brauche ich die Leser:innen nicht zu stoßen, es riecht nach Faust, es stinkt nach Mephisto, duftet nach dem göttlichen Goethe.
Wiener Trilogie
Außer den dreien zeigen sich in Joshuas Dachterrassenwohnung noch einige weitere Personen – ein Wesen zeigt sich nicht: die Katze! – und ein Buch, und daraus erschließt sich zumindest für kundige Paul Auer-Leser:innen, worum es bei all dem denn noch geht: nämlich um das Verfassen einer Trilogie und die Schwierigkeiten dabei. Eine der weiteren schwankenden Gestalten ist niemand anderer als Bilinski, Protagonist von Auers erstem Roman Kärntner Ecke Ring (erschienen 2017), das ist der Mann, von dem die seiner Meinung nach hässlichsten Gebäude Wiens beinahe in die Luft gesprengt worden wären, der jetzt dafür einsitzt und trotzdem auftaucht, trotz Gefängnis-Mauern und Dachterrassenwohnungs-Mauern, womit auch der Sinn des dritten Romantitels Mauern aufgeklärt ist; bleibt noch der Titel von Auers zweitem Roman nachzutragen, der lautet nicht Hitlers Katze, sondern Fallen (erschienen 2020). Die Katze wieder, die da ist, sich aber partout nicht zeigen will, so sehr sie Joshua auch anzulocken sucht, die braucht Joshua zum Schreiben, die braucht er, die braucht er so notwenig wie andere Luft zum Atmen, oder weniger dramatisch formuliert, wie Chips zum Fernsehen. Es dreht sich in dem Roman letztlich alles um Joshuas Schreiben des Weltbuchs, Joshua, das schöpferische Genie, will das Weltbuch schreiben, er will, er will, aber er kann nicht. Exhibitionistisch stellt in diesem Portrait of the Artist as a Young Man so ein Jung-Autor in grotesker Selbst-Satire den Narzissmus, die eingebildeten Widerstände, die sich auftürmen, die absurden Machtphantasien und die abstrusen Antriebe der Kunstschaffenden bloß. Selten so gelacht! Um mit dem Vergnügen nicht allein zu bleiben, ersuche ich um die Lektüre der Leseprobe, die all die Selbstüberschätzung in einer komprimierten Dosis enthält.
Bulgakows Katze
Die Art und Weise, wie Joshuas Dachterrassenwohnung zum Tummelplatz realer – in einer realen Erzählung zu erwartender – und mythischer Figuren wird, wie diese auftauchen und wieder verschwinden, einfliegen und ausfliegen, auch Joshua selbst unternimmt einmal eine kleine Tour durch die Lüfte, das würde an psychedelische Literatur gemahnen, die nach Einnahme von genug Koks entsteht, wenn wer mit scheelen Augen liest. Wer wie ich mit Freude und Begeisterung mitfiebert, den erinnert das Verschwimmen und Schwinden der Wahrnehmungsgrenzen zwischen Wachsein und Träumen an die schönen Stunden bei der Lektüre surrealistischer Texte. Mir fällt als erstes Alfred Kubin ein, Die andere Seite, illustriert von Kubin selbst, die Reise ins Traumreich im Osten, beherrscht von dem ein wenig luis-haften luziferischen Diktator Patera. Auch in Auers Mauern sind die Mauern ja so durchlässig und einsturzgefährdet wie in Kubins Traumstadt oder in Raphaela Edelbauers Das flüssige Land. Und das Land im Himmel, aus dem Judith, Luis und Finn kommen, wird in Auers Roman einmal auch als Traumland bezeichnet. An einer Stelle fällt der Name des Großmeisters der europäischen Literatur des Surrealismus, Michael Bulgakow. Ich habe noch keine Zeit gehabt, Der Meister und Margarita wieder zu lesen, aber ich habe einen Verdacht, den ich nicht stichhaltig begründen kann, den ich aber trotzdem hinschreibe, da jemand, der einmal im Surrealen angekommen ist, nichts mehr zu verlieren hat: Auers Katze in Mauern ist Bulgakows Katze aus Meister und Margarita.
​
Kopfkino
In der Dachterrassenwohnung, von wo er auf den Heldenplatz sieht, auf dem sich einmal auch eine Demonstration gegen die Bundesregierung oder gegen die Klimaerwärmung abspielt, aber das kümmert ihn wenig, ereignet sich Joshuas Kopfkino. Die bedrängenden Visionen sind schlicht und einfach der Tatsache geschuldet, dass ihn seine Freundin Carmen verlassen hat. Das ist die Ursache für seine Verstörung auf der banalen psychologischen Ebene, die in den Roman auch eingezogen ist. Die psychedelischen Bilder sind Teil eines Verarbeitungsprozesses mit selbstzerstörerischen Zügen; ihm muss sich Joshua unterziehen, erst wenn er es schafft, dass der falsche Freund Winter, der Häftling Bilinski, der Teufel mit seiner Teufelsbraut und dem Teufelsbraten sich wieder verzogen haben, hat er eine Chance auf die Wiederkehr Carmens. Die ernsthafte Frage, die sich darin verbirgt, ist die: Kann ein Autor wie Joshua K. und wie Paul Auer schreiben und lieben, geht sich beides zugleich aus? Sie, liebe Leser:innen, müssen diese Entscheidung nicht treffen, Sie können Auers witzsprühenden dritten Roman kaufen und schenken und lesen, lesen und lieben, das geht sich aus.
Walter Pobaschnig auf literaturoutdoors.com
Paul Auer legt mit seinem dritten Roman „Mauern“ ein Meisterwerk moderner Literatur vor, das selbstbewusst hintergründig wie spielerisch variantenreich mit Form und Inhalt geistesgeschichtlicher Tradition wie gegenwärtiger Lebenswelt balanciert und in Sinn und Abgründe der Welt unvergleichlich blicken lässt.
Joshua, über Jahre existentiell ringender Schriftsteller tritt ein Erbe an und veröffentlicht sein erstes Buch. Jetzt steht er auf der Terrasse seiner neuen Dachgeschoßwohnung in Wien, Cognac in der Hand und den Blick zur roten Olivetti Schreibmaschine wie über die Stadt gerichtet. Eine neue Zeit beginnt und diese wird zum Karussell der Liebe, Leidenschaft und der Arbeit an dem „Weltbuch“…
„Der Teufel ist gegangen und ich werde gottgleich sein.“
Der in Wien und Kärnten lebende Schriftsteller spannt in „Mauern“ einen eindrücklichen Bogen moderner Lebenssituationen, in denen Träume, Begegnungen, Herausforderungen und Perspektiven in Sonne, Regen, Nebel der Tage ein- und auftauchen und verschwinden…
Die sprachliche Raffinesse und Schönheit, in der hier Erzählebenen gesetzt werden ist einmalig. Diese Sprachvirtuosität trägt famos die unerträgliche Leichtigkeit einer Generation in ihrer Lebensgeschwindigkeit von Existenz-, Sinn- und Moralfragen, die hier ganz außergewöhnlich in tiefgründigen Sprachkompositionen mitreißend in allen Dur- Molltönen von Traum, Wirklichkeit und Überraschung klingen
Paul Auer ist ein virtuoser Sprachkomponist, der Leben, Sinn und Geheimnis einmalig klingen lässt.
Sabrina Gärtner für "Die Brücke"
"Der Teufel ist gegangen und ich werde gottgleich sein." Nach Kärntner Ecke Ring (2017) und Fallen (2020) liegt mit Mauern nun Paul Auers dritter Roman vor, in dessen Zentrum ein größenwahnsinniger Schriftsteller namens Joshua steht. Kaum ist dieser seinen prekären Lebensverhältnissen entkommen und in eine schicke Dachgeschoßwohnung am Wiener Burgring gezogen, stellt sich unvermittelt der Teufel samt außergewöhnlichem Gefolge ein. Joshua meint seinen großen Moment gekommen und drängt dem Leibhaftigen einen Handel auf: Einen ultimativen "Weltroman" will er verfassen, um die Geschichte des gefallenen Engels endlich ins rechte Licht zu rücken; als Gegenleistung fordert er lediglich seine Ex-Freundin Carmen zurück. Doch kaum ist der Teufelspakt besiegelt, verfällt Joshua in Prokrastination ...
Erweckt Mauern eingangs noch den Anschein einer unterhaltsamen Verwechslungskomödie, entwickelt sich die surreale Erzählung rasch zu einer überdrehten Studie in Sachen "Unzuverlässiges Erzählen", in welcher Wirklichkeit, Halluzination und Träume chaotisch ineinandergreifen und der Protagonist die Leserschaft unaufhaltsam in den Malstrom seiner paranoiden Wahnvorstellungen zieht. Charmante Besonderheit dieser Interpretation des legendären Fauststoffes ist zweifellos die Vielzahl an intertextuellen Selbstreferenzen, die sowohl Figuren als auch Motive aus Auers früheren Werken betreffen.
Hauke Harder für Leseschatz.com
Erneut verzaubert uns Paul Auer mit seinem neuen Roman. Der Inhalt, der durch eine tolle Sprache erzählt wird, offenbart Figuren, die wir teilweise aus dem vorherigen Werk des Autors kennen. Die Handlung kann am Besten als tragikomisch und als fantastischer Realismus bezeichnet werden, ist aber vorrangig ein kluger und irrer Ritt. Die Charaktere öffnen für sich und für den Lesenden unsichtbare Mauern. Dies ist der dritte Roman von Paul Auer, der wohl sein bisher stärkster ist. Wie bereits im Roman „Fallen“ wird hier einiges wahrlich heraufbeschworen und der Wahrhaftige greift ein. Wenn der Teufel sein Spiel macht, kann wohl nicht alles sich zum Guten wenden. Nebenbei geht es auch um den Schreibprozess und den Wunsch, ein bleibendes Werk in der Literaturwelt zu hinterlassen. Um so ein „Weltbuch“ zu verfassen, ist wohl mancher bereit, seine eigenen Grenzen nach Belieben auszudehnen.
Ein junger Schriftsteller, der in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Literatur ringt. Dann hat er Erfolg, sein Debütroman feiert Erfolge und er erbt. Nun ist sein Ego angefeuert und wächst ungebremst. Er ruht sich auf dem Erfolg in einer geräumigen Luxuswohnung aus. Auf dem Balkon mit einem gepflegten Weinbrand und dem Blick auf die alte Schreibmaschine wird ihm einiges bewusst. Eine Frau an seiner Seite fehlt. Nicht irgendeine, sondern die angebetete Exfreundin, die ihn verlassen hatte. Auch die Idee für einen weiteren Roman lässt auf sich warten. Seine Ruhmsucht und sein Ego verlangen den weiteren Rausch und diesen erhält er durch den unerwarteten Besuch. Kein Geringerer als Luzifer und seine Begleitung. Dies ist doch der Stoff, aus dem die literarischen Träume erwachsen können. Ein Weltbuch soll geschrieben werden, um den Lichtbringer ins rechte Licht zu rücken. Als Dank für das sensationelle Werk soll jene verflossene Freundin zurückgewonnen werden.
Ein fantastisches Werk voller Sog- sowie Zugkraft und Raffinesse. Die Triebkraft der Kreativität und Größenwahn buhlen im Ego des Agierenden und stoßen uns in eine kurzweilige und lohnenswerte Lektüre.