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Der Wald, die Gier und wir

  • Paul Auer
  • 13. Juli
  • 8 Min. Lesezeit

Dieser Text erschien zunächst im Standard-ALBUM vom 5. Juli 2025: https://www.derstandard.at/story/3000000278131/kaernten-is-a-wahnsinn--oder-der-wald-die-gier-und-wir


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Vor einigen Jahren wurde in meiner Herkunftsgemeinde Millstatt auf der sprichwörtlichen grünen Wiese eine Wohnanlage errichtet, auf die man bis heute stolz ist. Dabei weist sie alle Mängel zeitgenössischen Bauens auf: Weder ist sie hübsch, geschweige interessante Architektur, noch passt sie in die Landschaft, und ohne Auto ist man als Bewohner im Alltag verloren; sie wäre also der Erwähnung in einem Text über diesen Kärntner Ort nicht wert, der sich darin gefällt, für seine pittoresken Jahrhundertwende-Villen bis nach Wien bekannt zu sein, wenn sie sich nicht durch eine Besonderheit auszeichnete: Mit ihr wurde leistbarer Wohnraum geschaffen - ganz entgegen dem allgemeinen Trend.

 

Der lässt seit fast zwei Jahrzehnten am Millstätter See bevorzugt eines entstehen: Zweitwohnsitze, Spekulationsbauten, Investorenarchitektur. Wertvoller Boden wird ohne Rücksicht auf Landschaft und Ortsbild für Betongold geopfert, ähnlich wie in vielen traditionellen Urlaubsregionen des Landes, von Kitzbühel über das Salzkammergut bis zum Wörthersee. Während klassische Tourismusbetriebe der Reihe nach zusperren, werden Wohnungen zu Preisen errichtet, die von vornherein einem Großteil der Bevölkerung Kauf oder Miete unmöglich machen. Die Folgen sind unübersehbar: Im Ort Millstatt selbst gibt es keine Volksschule mehr, keinen Kindergarten, viele Geschäftslokale stehen leer oder werden von Immobilienmaklern als Infobüros genutzt. Junge Familien können sich das Wohnen hier kaum noch leisten, und das merkt man. Ein Ort ohne Kinder stirbt. Bei den Gemeinderatswahlen der vergangenen Jahre löste auch kein anderes Thema hitzigere Debatten aus; nichts ruft im Gespräch mit Einheimischen größere Emotionen hervor, als der Eindruck, ihre Region werde zur gefälligen Kulisse in Hochglanzprospekten der boomenden Immobilienwirtschaft degradiert. Der in Kärnten seit jeher auf lebendige Orte und eine vielfältige Infrastruktur angewiesene Tourismus hingegen scheint zusehends ein Schattendasein zu führen, so sehr ihn Kommunalpolitiker in Wahlkämpfen und Sonntagsreden auch beschwören und vorgeben, sich dem Kampf gegen „kalte Betten“ zu verschreiben. Tatsächlich gehen die Nächtigungszahlen kontinuierlich zurück, während die Zahl der Zweitwohnsitze Jahr für Jahr steigt.

 

Nun soll man nichts beschönigen: Natürlich wurde und wird auch Touristen seit jeher eine gefällige Kulisse verkauft, natürlich hatte und hat auch der Tourismus potenziell negative Auswirkungen auf einen Landstrich, so er schlecht gemanagt wird, die Verhältnismäßigkeit verloren geht und das ganze im viel zitierten „Overtourism“ mündet; als Kind der Achtziger weiß ich zu gut, wie zerstörerisch dessen Folgen für Familien sein können. Aber wie anders war dennoch die Atmosphäre in Millstatt, als es noch ein klassischer Urlaubsort war, ehe es auf der Bucket List der Immobilienbranche landete: Am zentrumsnahen Ufer etwa gab es bis in die Neunzigerjahre drei kleine Hotels, die allesamt ihr eigenes Restaurant, ihr eigenes Café und, für uns Kinder am wichtigsten, ihren eigenen Eisstand betrieben. An den Sommerabenden herrschte geradezu italienisches Ambiente, es war Leben auf den Straßen. Heute hingegen, selbst im Hochsommer: die vermeintlich beschauliche Stille einer Pensionopolis. Keines der Hotels existiert mehr. In dem einen befinden sich Wohnungen, auch das zweite wird privat genutzt, und das dritte wurde von einer bekannten Familie aus der Bau- und Immobilienbranche gekauft, die es vor gut zehn Jahren abreißen ließ - samt dem dazugehörigen Salettl, einst der Speisesaal, sowie dem Badehaus aus dem 19. Jahrhundert, das letzte seiner Art am See; mit ihm ging ein kulturhistorisches Denkmal aus der Ära der Sommerfrische unwiederbringlich verloren. Seither liegt das Areal direkt neben der Schiffsanlegestelle brach, verwildert und wird von einem hässlichen Bauzaun abgegrenzt. Die Widmung sieht zwar eine touristische Nutzung vor (und was hätte hier aus der Kombination alter Bausubstanz mit zeitgenössischer Architektur Spannendes entstehen können!), aber die nunmehrigen Besitzer zeigen daran kein Interesse. Warum auch? Sie konnten sich einen der begehrtesten Plätze am See sichern, und wer wollte sich hier nicht ein Refugium errichten? Da die zuständige Bezirkshauptmannschaft keinen Druck auszuüben scheint, bleibt das Grundstück von Sommer zu Sommer verwahrlost, und das hat natürlich Methode. Irgendwann werden die Behörden genervt aufgeben und der Familie die private Nutzung durchgehen lassen, so nur endlich der Schandfleck ansehnlich gestaltet wird.

 

Dieses Beispiel zeigt stellvertretend für mehrere in der Region nicht nur, dass Investoren sich entgegen ihrer Selbstvermarktung selten dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen oder ein Gespür für erhaltenswerte Bausubstanz haben, was wenig überraschen mag. Sondern auch, dass man es sich in diesem Land offenbar immer noch folgenlos leisten kann, Vorgaben und Auflagen von Behörden zu ignorieren, so man einflussreich und mächtig genug ist. Und das sollte bei aller Kenntnis des Klischee-Österreich nicht hingenommen werden, zumal es den Kern des Problems berührt: Wenn trotz unersättlicher Nachfrage von Bauträgern, Investoren und Immobilienfirmen unsere schönsten Landschaften und Orte nicht länger für den Profit einiger weniger am Markt verschleudert werden sollen, bräuchte es zuvorderst verlässliche Beamte und integre Politiker, die über die nötige Expertise, die nötigen Ressourcen und vor allem den nötigen Willen verfügen, um es mit der Immobilienbranche aufzunehmen. Doch insbesondere am Willen scheint es zu mangeln. Denn klassische Korruption mag nach wie vor ein Problem sein, ebenso die Übermacht an finanziellen und fachlichen Mitteln, mit der ein großer Bauwerber Druck auf eine Gemeinde ausüben kann, um seine Wünsche durchzubringen; doch in erster Linie scheinen Politiker, nicht nur in Millstatt, schlicht keine Lust zu verspüren, sich den Begehrlichkeiten von Investoren in mühsamen Kämpfen zu widersetzen. Wie leicht fällt es unseren Volksvertretern, völlig undifferenziert jeden Wirtschaftsmigranten, jeden Flüchtenden unlautere Absichten zu unterstellen, ihn zur Bedrohung zu stilisieren und deswegen härteste Maßnahmen zu fordern; aber wie mutlos und duckmäuserisch agieren viele von ihnen, wenn es darum geht, gegen den realen Schaden für unser Land und seine Menschen durch Immobilienspekulanten und die von ihnen verursachten sozialen, ökologischen und ästhetischen Verwerfungen aufzutreten. Dabei gibt es kein Menschenrecht auf einen Zweitwohnsitz oder eine Luxusimmobilie, weder am Millstätter See noch sonst wo, für niemanden. Und trotzdem ist kein Ende des Betongoldrauschs in Sicht, im Gegenteil.

 

In naher Zukunft könnte ihm in Millstatt sogar ein wunderschöner Wald zum Opfer fallen, der, zugegeben, für mich deswegen von Bedeutung ist, weil ich schon als Kind dort gespielt habe. Der Ziesacherwald ist gewissermaßen mein Urwald, und ihm droht jetzt das Ende. Natürlich ist da also persönliche Betroffenheit und Sentimentalität, aber darüber hinaus spiegelt sich im möglichen Verlust dieses Kleinods zweifellos der Irrsinn unserer Zeit: Ein nicht nur für mich beliebtes Naherholungsgebiet, ein gesunder vielfältiger Wald, ein Lebensraum zudem für in der Region mittlerweile seltene Vögel und andere Waldtiere, ein Stück Natur, das man eigentlich dankbar schützen, hegen und pflegen sollte, und das noch dazu im Eigentum der Gemeinde steht, könnte für den Bau von hochpreisigen Wohnanlagen planiert werden. Demnächst wird in Millstatt nämlich ein neues Örtliches Entwicklungskonzept (ÖEK) beschlossen, wie es der Landesgesetzgeber vorsieht, worin für jede Ortschaft die maximale Siedlungsgrenze definiert werden muss. Das ist grundsätzlich eine gute Sache, denn außerhalb dieser verbindlichen Grenzen kann nicht mehr willkürlich eine Bauwidmung erteilt werden, womit das ÖEK an sich ein sinnvolles Instrument zur Eindämmung der Zersiedelung darstellt - und dennoch sorgt es in Millstatt derzeit für Aufregung: Denn der von einer Fraktion dominierte Gemeinderat plant, mit dem neuen ÖEK etwa vier Hektar des Ziesacherwalds zu Siedlungsgebiet zu erklären, der erste Schritt hin zu einer Umwidmung in Bauland. Es ist lediglich Mandataren der Opposition zu verdanken, dass die Pläne durchsickerten, an die Öffentlichkeit gelangten und die Bürger erfuhren, dass es in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft statt eines Waldes in den kommenden Jahren riesige Baustellen geben, ein wichtiges Naherholungsgebiet für immer verloren gehen könnte. Warum die Gemeinde derartiges im Sinn hat, liegt auf der Hand: Sie braucht, wie jede österreichische Kommune, dringend Geld, und der Wald befindet sich in wunderbarer Lage mit spektakulärem Blick auf den Millstätter See. Er ist buchstäblich Goldes wert. Es bedarf daher keiner raumplanerischen Expertise, um zu prognostizieren, dass leistbarer Wohnraum hier eher nicht entstehen wird, sondern wieder Zweitwohnsitze, Spekulationsbauten, Investorenarchitektur. Statt eines Waldes voller Leben: seelenlose Gebäude mit heruntergezogenen Jalousien.

 

Wenn in einer Gemeinde mit - Apropos! - genug gewidmetem Bauland ein Naherholungswald verschachert werden soll, wäre das an sich schon fragwürdig; dass in Folge bloß Luxusimmobilien entstehen würden, macht das Vorhaben zu einem Skandal. Gegen die drohende Zerstörung des Ziesacherwalds hat sich daher eine Bürgerinitiative formiert, und natürlich sind darin Menschen engagiert, für deren Häuser einst ebenso Wald gerodet wurde, weswegen man ihnen durchaus Heuchelei vorwerfen könnte: Warum sollen andere nicht ebenso in solch schöner Lage wohnen wie ihr? Ein plausibler Einwand. Einen großen Teil des Ziesacherwalds, wie ich ihn als Kind gekannt habe, gibt es schließlich schon jetzt nicht mehr, weil immer weitere Siedlungsflächen, auch für Zweitwohnsitze, erschlossen worden sind, sich der Ort ausbreitete und in den Wald hineinfraß. Aber müssen die Fehler der Vergangenheit ständig wiederholt werden? Wäre es nicht an der Zeit zu akzeptieren, dass unsere Ressourcen nicht endlos sind, dass heute nicht mehr möglich ist, was gestern noch selbstverständlich war? Das mag in der momentanen Weltlage untergehen, aber die entscheidende Frage unserer Tage ist nicht, wie hoch die amerikanischen Zölle oder die europäischen Rüstungsausgaben sind, sondern wie wir die Erde vor der Unbewohnbarkeit bewahren. Diese zu verhindern würde von uns allen einen Beitrag erfordern. Eine Gemeinde wie Millstatt mit all ihrem Potenzial an Menschen, Landschaft und Geschichte könnte sich etwa überlegen, was Fortschritt, Entwicklung und erfolgreiches Wirtschaften anderes bedeuten mag, als der Verkauf von Liegenschaften an Bauträger und die folgende Steigerung der Einnahmen aus dem Erlös der Zweitwohnsitzabgabe. Könnte man nicht auch das, was vorhanden ist, erhalten, verbessern, pflegen? Wäre das nicht das Gebot der Stunde? Wie in vielen Orten gibt es in Millstatt zahlreiche alte Gebäude (und zwar nicht nur jene auch in Wien bekannten Jahrhundertwende-Villen), die bloß auf eine schlaue Strategie warten, mit der sie vor dem Verfall bewahrt und nachhaltig genutzt, buchstäblich wieder belebt werden könnten, wozu es allerdings auch innovative, junge, risikobereite Menschen bräuchte, die sich in Millstatt jedoch nicht ansiedeln, weil es keinen leistbaren Wohnraum gibt; ein Teufelskreis, aus dem auszubrechen gewiss nicht einfach ist. Doch ein erster Schritt wäre getan, gäbe es visionäre Politiker, einen mutigen Bürgermeister, oder noch besser: eine mutige Bürgermeisterin, die neue Wege beschreitet und zugibt: „Ja, wir haben in den vergangenen Jahren zu viel gebaut, verbauen lassen, zu viel, das nicht nötig gewesen wäre und weder ökologisch noch ökonomisch schlau und nachhaltig war, aber diese Gebäude gibt es nun mal und wir werden sie nicht abreißen. Doch von nun an gehen wir verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen um und schieben den Betongoldschürfern einen Riegel vor.“ Und weiter: „Es mag in Zeiten wie diesen ein völlig abwegiger Gedanke sein, dass eine Gemeinde einen Wald in Top-Lage besitzt und nicht zu Geld machen, verkaufen und bebauen lassen will, sondern einfach belässt, wie er ist, um ihn für die Bevölkerung, die jetzige und die zukünftige, zu erhalten. Aber genau das machen wir! Einfach so. Ohne unmittelbaren Profit. Gewissermaßen nutzlos. Trotz des Drucks seitens der Immobilien- und Bauwirtschaft. Damit es in einer sehr lauten, unsicheren, komplexen Zeit mit diesem Wald ein kleines Stück heile Welt gibt, wo man zur Ruhe kommt.“

 

Muss eine solche Rede Utopie sein? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich sind wir von einer Trendwende, von nachhaltig denkenden Politikern noch weit entfernt, ob auf der großen Weltbühne oder einem kleinen Nebenschauplatz wie Millstatt. Wie sollte es anders sein? Wenn wir ehrlich sind, bemerken wir diese Trendwende ja nicht einmal in uns selbst. Wir flüchten uns doch alle gierig ins „Weiter so!“ und „Noch mehr!“, wissend, dass wir mit dem Ausbeuten der Natur, dem sinnlosen Anhäufen von Besitztümern, dem maßlosen Konsumieren weder glücklich werden noch auf eine gute Zukunft zusteuern. Aber wir scheinen uns Anderes gar nicht mehr vorstellen zu können. Was fangen wir mit uns an, wenn wir nicht ständig und ständig mehr konsumieren, mittlerweile dank Smartphone zu jeder Tages- und Nachtzeit, ob auf der Toilette oder beim Küchentisch? Was könnte uns erfüllen, was verstehen wir unter einem sinnvollen Leben? Rasch noch den günstigen Kurzstreckenflug buchen, bei diesem irren Schnäppchen auf Shein zuschlagen, und ein Wochenende im Spa wäre wieder mal was ... Sind wir nicht genau so wie der vermeintlich böse Investor, der sich auch nur durch die Angebote seiner Preisklasse scrollt ... Eine Wohnung in Millstatt? Warum denn nicht, wo ist das überhaupt? Egal! Oder lieber doch noch eine auf den Bahamas? Auch nett! Oder einfach beide? Klar! 

 

Offenbar brauchen wir Menschen einfach noch ein paar Jahre der manischen Maßlosigkeit, ehe wir, wohl gezwungenermaßen, zur Besinnung kommen werden. Dann wird es den Ziesacherwald vermutlich nicht mehr geben; vieles wird es nicht mehr geben, und sollten wir dazu noch in der Lage sein, werden wir das Smartphone weglegen, uns die Augen reiben und fragen, wie wir all das zulassen konnten: Während die Naturzerstörung für den Menschen existenzbedrohend wurde, psychische Krankheiten grassierten, sich unsere Kinder in einer unregulierten digitalen Welt verloren, sahen wir den einzigen Ausweg darin, immer weiter zu bauen, zu kaufen, abzureißen, wegzuschmeißen, zu verschwenden, zu bauen, zu kaufen ... Nutzen wir daher den heurigen Sommer noch einmal dazu, unsere Lieblingsorte in der Natur so oft wie möglich zu besuchen: den schönen Platz im Wald, beim Fluss, auf der Alm. Denn wer weiß, ob es sie nächstes Jahr noch geben wird, ob sie nicht einer Straße, einem Gewerbepark, einer Wohnanlage, einem Chalet-Dorf weichen mussten.

 

Vor unserer Gier ist schließlich nichts sicher.    

 
 
 

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