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Paul Auer

Versuchslabor des Weltaufgangs




Als der diesjährige Schulhausroman startete war es noch sommerlich, Niederösterreich war gezeichnet vom Hochwasser, die Hoffnung vieler hieß Kamala Harris, Österreich stand kurz vor der Parlamentswahl. Ein paar Wochen später ist es Herbst geworden, die Erinnerungen an die letzten heißen Tage kurz nach den Ferien wirken prähistorisch, das Hochwasser wütet mittlerweile in Spanien, Trump hat die Wahl in den USA gewonnen; und das ist nur eines der vielen Indizien dafür, dass es auch in den kommenden Jahren nicht mehr allzu gemütlich zugehen wird auf dieser Welt. Oder, genauer: dass die Ungemütlichkeit, die in anderen Weltregionen nie außergewöhnlich war, nun auch in Europa und Nordamerika unwiderruflich zum Standard wird.

 

Außer vielleicht in Österreich. So sehr dieser Staat und seine Gesellschaft zu kritisieren sind, das zuweilen Anachronistische im hiesigen System bringt es auch mit sich, dass trotz Wahlsiegs der Rechtspopulisten wohl vernünftige demokratische Parteien die Regierung bilden werden. Was früher als Symbol des verzopften, erstarrten Proporzsystems galt, die (einst große) Koalition aus den beiden klassischen politischen Lagern Sozial- und Christdemokraten, nimmt sich heute als Garant dafür aus, den Wahnsinn, die Destruktion, die Hatz und die Wut, die Lebens- und Menschenfeindlichkeit schlechthin als Leitsterne politischen Handelns zumindest noch eine Weile hintanzuhalten. Wenn auf den Straßen draußen Schlägertrupps und Psychopathen das Sagen haben, geht jeder wieder gerne heim zu Papa und Mama, so erdrückend, unbeweglich und unfähig sie früher auch gewirkt haben mögen, hier ist man in sozialpartnerschaftlicher Sicherheit: langweilig, aber berechenbar. Lieber Hinterzimmer- als Sündenbockpolitik. Österreich mag Versuchslabor des Weltuntergangs sein, so ein etwas abgeschmacktes Bonmot, aber ein anderes behauptet demgegenüber, dass, wenn es ernst wird mit der Apokalypse, diese in Rest-Kakanien erst mit Verzögerung stattfindet. Und sollte es auch nur eine Schonfrist sein, ein trügerischer Aufschub, ein retardierendes Moment des faschistischen Zeitgeistes, weil der Umbruch, der große Krach, das abermalige Weltenringen unvermeidlich sein werden (World War is coming home), so ist jeder Tag ohne düstere nationalistische Trump-Apologeten an der Macht ein gewonnener; weil vielleicht, vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder und die Menschheit nimmt den Speed raus und kratzt die Kurve.

 

Aber was hat das jetzt mit dem Schulhausroman zu tun?

 

Well.

 

Für die Schüler*innen der Mittelschule Sieghartskirchen, die am Ende dieser eben begonnenen Legislaturperiode, so es keine vorgezogenen Neuwahlen gibt, volljährig sein werden (ebenso wird die Präsidentschaft Trumps dann überstanden sein, sofern es noch eine Wahl geben wird ...), mögen unsere alarmistischen Analysen dieser Tage abstrakt klingen. Die Polykrise unserer Gegenwart ist zwar für die meisten Boomer, Gen Xler und sogar Millenials (man verzeihe mir den Rückgriff auf diese alberne Taxonomie) ein mehr oder weniger heftiger Knacks in der Weltordnungswahrnehmung, etwas Ver-rücktes, Gestörtes, Abnormes; für wirklich junge Menschen hingegen sind die Reiter der Apokalypse ebenso normale Phänomene wie Smartphones, SUVs, aufgespritzte Lippen und Halloween. Umgekehrt stellt sich für mich die Lebenswirklichkeit dieser Mittelschüler*innen nicht minder abstrakt und kaum verständlich dar, weil ich, wie wohl deren Eltern und Lehrer*innen, über den üblichen, unvermeidlichen Generationen-Gap weit hinausgehend schlicht nicht nachempfinden kann, wie sich ein Blick auf und ein Denken über die Welt ausmachen, die in erster Linie von der permanenten Speisung aus dem Internet geprägt werden. Jeder von uns hat in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Kolonisation des Alltags durch das Smartphone Verhalten und Denken nachhaltig veränderten. Kaum jemand, der nicht hie und da die Sehnsucht verspürt, den Irrsinn zu fliehen, auszusteigen aus dem permanenten Daten-, Kommunikations- und Konsumstrom, welcher alles einebnet, verflacht und verkürzt. Wie oft habe ich während des Schreibens dieses kurzen Beitrags bereits mein Smartphone zur Hand genommen, bloß um festzustellen, dass die Schlagzeilen auf der News-Seite keine anderen sind, mir in den vergangenen fünf Minuten niemand eine Nachricht geschrieben hat, auch kein Mail eingegangen ist; ach doch, da ist ja ein neues Like für meinen jüngsten Facebook-Post, na bitte, das hätte ich fast versäumt ...

 

Die 12-, 13-, 14jährigen Schüler*innen aus der Mittelschule Sieghartskirchen, mit denen ich in den vergangenen Wochen an einem kleinen Roman gearbeitet habe, kennen es indes nicht anders und werden vermutlich selbst Veränderungen und Verwerfungen in ihrer Lebenszeit miterleben, von denen sich heute noch niemand eine Vorstellung machen kann. Wild days ahead. Ob es etwa in 50 Jahren noch Projekte wie den Schulhausroman geben wird? Gedruckte Bücher? Schriftsteller? Ob noch verstanden werden wird, wozu eine Geschichte (im weitesten Sinne) von einem Menschen aus Fleisch und Blut erfunden und erzählt werden sollte (allein „Mensch aus Fleisch und Blut“ klingt nach einer längst vergangenen Zeit, ist als Topos vielleicht auch nicht mehr opportun, gar reaktionär, who knows, wer denkt an die armen Roboter?), wenn diese dann doch längst und standardmäßig und vermutlich auch „besser“ (im Sinne einer erfolgreichen Bindung der Rezipientin an das Narrative-Device) von einer KI generiert werden kann? Gegenfrage: Wird diese Notwendigkeit denn heute verstanden? Ist es überhaupt eine Notwendigkeit? Wer außer den Akteuren des literarischen Stipendien- und Preissystems braucht all die Schriftsteller*innen unterhalb der Profitliga (und das sind die meisten)? Dieser Tage sorgt etwa die Meldung für Furore, dass von einer KI produzierte Gedichte „bessere Bewertungen“ bekomme, als solche von Shakespeare.

 

An dieser Stelle müssen nun selbstverständlich jene Stimmen Einspruch erheben, die das Erzählen als menschliches Grundbedürfnis beschwören, die anmerken, dass sich bereits Steinzeitmenschen am Lagerfeuer von der abenteuerlichen Mammutjagd berichtet und dabei den eigentlichen Sachverhalt ausgeschmückt, ihn gestrafft oder zum Ausgangspunkt für Abstrahierungen genommen, sprich: Storytelling betrieben hätten; dass die Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft eine Erzählung, etwa in Form eines Mythos sei, und dass den Menschen vom Tier in erster Linie die Fähigkeit unterscheide, zu sprechen und damit auch zu fabulieren. Aber auf solche Gewissheiten sollte sich niemand stützen. Zumal wohl weniger das Erzählen in Frage gestellt werden wird, als die Notwendigkeit, hierfür einen menschlichen Erzähler zu benötigen. Auch den Warenaustausch oder die menschliche Fortpflanzung hielt man schließlich die längste Zeit Hominiden Wirkens auf Erden für untrennbar mit der Interaktion zumindest zweier Individuen verbunden, sie waren somit oft ineffizient, fehleranfällig und nicht völlig kontrollier- und planbar; aber eben auch „magisch“, wie der Volksmund sagen würde, weil Magie nichts anderes ist als das Unvorhergesehene, Ungeplante, Überraschende, Abweichende, das uns widerfährt und berührt, sobald wir der Welt begegnen. Wenn sich aber das menschliche Streben zusehends darauf konzentriert, alles Unwägbare, Krumme, Zerknitterte, Schwierige, Schwache von vornherein zu verunmöglichen oder im Nachhinein auszumerzen, das Dasein also ohne Risiko, ohne Mangel, ohne Schmerz, ohne Unzulänglichkeit, ohne Überraschung, demnach durch und durch normiert, voraussehbar, vermarktbar und konsumierbar zu sein hat, dann ist für den Kauf eines unförmigen Apfels bei der plappernden Greißlerin ebenso wenig Zeit und Platz wie für das Zeugen eines möglicherweise unterdurchschnittlichen Kindes oder die Versorgung einer arbeitsunfähigen Alten im Pflegebett. Nicht umsonst kommen Liberale und Faschisten einander in der Eugenik am nächsten, und wenn alles und sogar das menschliche Leben zur Ware wird, die man je nach Markterfordernis unter der Prämisse größtmöglicher Effizienz produzieren oder vernichten lassen darf, ist es naiv zu glauben, ausgerechnet die Literatur würde sich dieser Logik entziehen können. Denn gute Literatur ist manches, aber im Entstehen und im Rezipieren ist sie gewiss nicht effizient. Insofern ist es nur eine Frage der Zeit, bis große Verlage dazu übergehen werden, gut konsumierbare Romane von einer KI verfassen zu lassen, und dann ... wird sich wohl auch die Frage stellen, warum Mittelschüler überhaupt dazu animiert werden sollten, selbst Geschichten zu erzählen. Man würde heute ja auch nicht mehr auf die Idee kommen, sie Schweine schlachten zu lehren oder ein Hemd zu nähen, Tätigkeiten, die auch sehr lange fester Bestandteil menschlichen Alltags waren, aber in den vergangenen 100 Jahren ausgelagert und abgespalten wurden. Der Literatur droht ein ähnliches Schicksal.

 

Aber so weit sind wir noch nicht, und ob an ein Projekt wie den Schulhausroman der Maßstab der Effizienz überhaupt angelegt werden kann, ist fraglich. Nein, beim Schulhausroman geht es um etwas anderes, etwas, worum es auch in der Literatur an sich wieder gehen sollte. Wenngleich als Ergebnis der Arbeit mit den Schüler*innen aus Sieghartskirchen zumindest ein gedrucktes Büchlein steht, ein handfestes vermarktbares Ergebnis also, worin sich unsere nicht minder markttaugliche Geschichte „Das verlorene Leben der Montanas“ findet, ein knallharter Thriller, in dem es teils heftig zur Sache geht. Vorletzten Freitag wurde er im Niederösterreich-Museum in St. Pölten präsentiert. Dass die Geschichte zum Teil wild und ungezügelt rüberkommt, ist, ich gebe es zu, etwas, das ich im Rahmen des Schulhausromans gezielt fördere, weil ich gleich in der ersten Einheit bei den Schüler*innen zu punkten trachte, indem ich ihnen vermittle, dass es bezüglich Themen und Sprache in unserer Geschichte keinerlei Tabus gibt, es eben nicht darum geht, benotet zu werden und am besten gleich gelobt für liebliche Plots und solide Orthografie; sondern vielmehr darum, „zu schreiben, was ist“, um einen früheren Werbespruch eines Nachrichtenmagazins abzuwandeln. Das entspricht auch meinem Literaturverständnis, meinem Kunstverständnis generell, denn ein Werk, dass mir eine Erklärung oder gar eine moralische Haltung frei Haus mitliefert, ist zwar leichter konsumierbar, macht sich jedoch der Banalisierung verdächtig. Weswegen solche Bücher, nach deren Lektüre man genau weiß, was man erzählt bekommen hat, nach Schema Hildesheim gebastelte Klappentextliteratur, die den kleinsten möglichen Nenner sucht um die größtmögliche Leserschaft zu finden, in 50 Jahren vermutlich wirklich keine menschlichen Produzenten mehr benötigen werden. Das ist bedauerlich für Bestseller-Autoren, aber nicht für die Literatur im eigentlichen Sinne, denn sie wird relevant bleiben, sobald sie wieder aus der Plaudertasche rauskommt und zum systemsprengenden Wagnis wird, für die Schreibenden, für die Lesenden. Hardcore statt Blümchenprosa. Oder, in unserem Kontext: Schulhausroman statt Deutschstunde.      

 

Tatsächlich glaube ich, dass die „richtige“ Literatur vom wilden Schreiben von Mittelschüler*innen, die im besten Sinne unbedarft an die Sache herangehen, enorm viel lernen kann. Manchmal fragen mich etwa Kolleg*innen, wie ich auf Sexismen oder Rassismen in der literarischen Arbeit der Schüler*innen reagiere. Abgesehen davon, dass das entgegen der gruseligen Erwartungshaltung (Mittelschule! In der Provinz!!) kaum der Fall ist - ich fühle mich selbst fast unwohl, wenn ich antworte: Zunächst hat mal alles seinen Platz, und dann wird es gewogen, thematisiert und kontextualisiert. Aber ich bin kein Sozialarbeiter und kein Richter, ich vermittle den Schüler*innen zwar notwendigerweise eine Haltung, und es gelten ja außerdem auch für die Kunst Gesetze und die Verfassung als Maß und Richtlinie, klar; aber es gibt ebenso meine (nur für mich) mehr oder minder feste Überzeugung, wonach eine moralische Haltung kein Ausgangspunkt guter Literatur sein kann und die Verwässerung des fiktionalen Schreibens mit Haltungsjournalismus und Betroffenheitskitsch problematisch ist. Zumal, davon gibt es schon reichlich, das merkt man, wenn man durch die Buchläden unserer Zeit geht; denn die meisten Autoren, die sich aus Almosen und Stütze noch nicht herausetabliert haben, schreiben notwendigerweise mit Schere im Kopf und Moral im Herzen, will man es sich doch mit niemandem verscherzen, weil man weiß ja nicht, wessen Wohlwollen man zukünftig noch braucht (in Jurys, in Beiräten, für Rezensionen oder Festivals). Abgesehen davon: Wer will nicht gut und richtig sein? Im Rahmen des Schulhausromans versuche ich den Schüler*innen hingegen zu vermitteln, dass es beim Schreiben wie in der Kunst überhaupt, anders als in der Politik oder im Journalismus, keine Schere im Kopf geben darf und keine moralische Haltung geben muss, dass alles, wirklich alles zunächst einmal erlaubt ist und eine Geschichte auch keine Botschaft braucht und kein Lehrstück zu sein hat. Als Überprüfung, ob man dieses oder jenes Wort, diese oder jene Szene wirklich beibehalten will, empfehle ich vielmehr, sich die Präsentation vor Publikum vorzustellen, wie es sein mag, das Buch anderen vorzulesen, ob sich das richtig anfühlt, und ob man zu dem, was geschrieben wurde, stehen kann. Bei einer Lesung ist ein ungefilterter Zugang zu Literatur, wenn sie sich als mehr als einen besseren Langaufsatz auf Gymnasiasten-Niveau begreift, ja oft herausfordernd, weil sich die Rauheit der Weltwahrnehmung und die Archaik der Phantasie im geschützten Ambiente der Schreibstube (oder des Klassenzimmers) leichter zu Papier bringen lassen, als diese dann an einem semiöffentlichen Ort vor Publikum vorzutragen - eine Erfahrung, die wohl jeder Schriftsteller bereits gemacht hat.

 

Vorletzten Freitag in St. Pölten jedenfalls blieben „meine“ Schüler*innen cool und souverän und lasen aus „Das verlorene Leben der Montanas“ ohne mit der Wimper zu zucken vor, nicht einmal einen Lachanfall gab es; und sie waren danach, wie ich, wie die Lehrerinnen, richtiggehend beglückt. Und wahrscheinlich ist es wie bei einem „echten“ Roman auch nicht zuletzt der Moment unmittelbar nach der ersten Lesung, für den sich das Projekt in 50 Jahren noch lohnen wird, wenn die Beststellerlisten längst von KI-Autoren dominiert werden; dieser Moment, der den Schüler*innen einen unschlagbaren Selbstwert vermittelt: Wenn man das letzte Wort gelesen hat und auf der Bühne den Applaus aus dem Publikum hört, wenn man ein eigenes Werk in Händen hält, zu dem sogar jene etwas beigetragen haben, die sonst immer nur die „Schlimmen“ und „Schlechten“ sind, wenn man aufgeputscht ist und voller Adrenalin und ebenso erleichtert, es überstanden zu haben; wenn man die Erfahrung machen darf, dass es für einen Moment, für ein paar Minuten vielleicht, einfach mal gut und in Ordnung ist, was man vollbringt und wer man ist, und man sich freuen und sogar stolz sein darf, dass man etwas geschaffen hat, ohne sich um Beurteilungen welcher Natur auch immer kümmern zu müssen, um Leistung und Likes ... Und genau dies macht das Setting des Schulhausromans insgesamt zu etwas Wertvollem für die Schüler*innen und beispielgebend für die Literatur an sich: Er ist ein safe space der anderen Art, einer, der sich nicht vor der Wirklichkeit abschottet, sondern der die Wirklichkeit im Gegenteil ungefiltert sein lässt, sie so sein lässt, wie sie ist, nicht wie sie sein sollte (schöner, klüger, braver, gesünder, netter ...) Ein safe space, der die Schüler*innen lediglich vor einem schützt: der Angst vor der permanenten Wertung, Kategorisierung, Beurteilung und Maßregelung, die in den vergangenen Jahren zum erdrückenden Begleiter der meisten Menschen geworden sind, ein ständiger erhobener Zeigefinger, dem zuletzt in den USA als unbeholfene und nicht sehr nachhaltige aber mit etwas Verständnis für die conditio humana und einiger Kenntnis von Lebenswirklichkeiten out of Bobostan nachvollziehbare Reaktion der Mittelfinger gezeigt wurde. Denn, das kann man gut heißen oder nicht: Menschen brauchen archaische Freiräume, die von Moral verschont bleiben. Das sollten wir nach der Überwindung von fast 2000 Jahren kirchlicher moralischer Bevormundung wissen.

Der Schulhausroman ist also ein kleines Versuchslabor eines solchen Freiraums, eine Erinnerung daran, dass Kunst schon einmal überzeugender für solche Freiräume jenseits politischer Grabenkämpfe stand, ehe sie ebenso wie die Nahrungsaufnahme oder der Sex zum Schauplatz des moralischen Bürgerkriegs wurde. Es stünde der Gesellschaft gut an, wenn es wieder mehrere solcher Freiräume gäbe, wenn die Menschen nicht von den neuen Priestern und Katechisten bis in den intimsten Lebensbereich hinein permanent mit dem Vorwurf der Sünde bedacht werden würden, sodass sie sich in Nischen der politischen Radikalisierung zurückziehen müssen, um endlich einmal das Gefühl zu haben, frei von Schuld zu sein. Die Diskrepanz zwischen den hehren aber überbordenden Geboten an den Einzelnen und dem katastrophalen Istzustand der Welt wird in absehbarer Zeit gewiss noch das eine oder andere Ventil brauchen, und wenn wir wollen, dass dabei keine Menschen (oder andere Lebewesen) zu Schaden kommen, sollten wir vielleicht den etwas beliebig gewordenen Begriff der Verletzung überdenken und uns darauf besinnen, dass ein Wort ein Wort ist und keine Atombombe. Besser jedenfalls, es gibt politisch unkorrekte Bücher als eine von Affekten geleitete Politik, das eine mag ärgern, das andere aber wird töten. Anders gesagt: Sollten wir schlauen Moralisten nicht bald wieder einen klaren Blick dafür bekommen, welche die drängenden Probleme unserer Zeit sind und dass es dabei nicht um Pronomen geht, dürfen wir uns nicht wundern, dass Queere für Islamofaschisten demonstrieren und Working Poor Milliardäre wählen.

 

In diesem Sinne möge der Schulhausroman die Welt retten. Wenigstens die Literatur.

 

Amen.   

 

      

 

  

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